EIdotterSCHWARZ
Zu einer Arbeit von Alexander Kühn.
Von Andreas Ullrich (1992)
Einem Ei mit 18 Quadratmetern Leinwand, Farbe und Unmengen selbsthergestellter Kohle auf den weißen Leib rücken: mit Kanonen auf Spatzen?
Nicht, wenn dieses Ei mehr ist, als eben eine Materialansammlung, die, diskret und unauffällig verpackt, zumeist als Bestandteil eines durchschnittlichen Frühstücks oder eines Backrezeptes auftritt.
Dem Ei ist im Rahmen seines alltäglichen Gebrauchs keine Symbolik eingeschrieben, die es auffällig von einem Glase Erdbeermarmelade unterschiede und damit zu irgendwelchen metaphysischen Spekulationen Anlaß gäbe.
Zudem ist das Ei ein Naturprodukt, das keine durch planvolle und zielgerichtete menschliche Arbeit hervorgebrachte Gebrauchsintention verkörpert.
Als Gegenstand von Kunstproduktion kann eine solche also auch nicht freigesetzt bzw. über die „Verfremdung eines Alltagsgegenstandes“ wahrgenommen werden. Besitzt ein Ei also weder eine spezifische Gebrauchssymbolik noch eine immanente Produktsymbolik, so kann es sich bei einer künstlerischen Bearbeitung, sofern diese sich nicht auf rein formästhetische Adoption beschränkt eigentlich nur um eine Reflexion auf die Natur-Bedeutung „Ei“ handeln.
Neun Tafeln, 195 cm hoch, 100 cm breit. Über eine komplexe Untergrundzeichnung ist eine fast undurchsichtige Kohleschicht gelegt,
die ex negativo die Ei-Form sichtbar werden lässt. Auf einigen Tafeln ist die Ei-Form nachträglich ausgetilgt worden.
Die Tafeln sind wie eine Fensterfront gehängt, die Ausblicke suggeriert.
Davor, in planvoll unbequemer Höhe auf ein Podest gestellt, ein Ei.
Bis auf die Zahl neun ist weder im Einzelnen noch in der gesamten Installation etwas von der Natur-bedeutung „Ei“,
etwa Fruchtbarkeit, Nahrung, Schutz, Wärme etc., zu spüren.
Alexander Kühn arbeitet zwar mit diesen Bedeutungen – das Natur-Ei lädt deutlich dazu ein – doch werden diese Konnotationen,
genau wie die Ei-Formen, ex negativo hervorgebracht.
Die gewährten Ausblicke in ein scheinbar totes All, die mondhafte Dürre der Eioberflächen (sehr deutlich auf der letzten Tafel),
das gesteinshafte Trudeln der Form im Nichts: die symbolische Farbe „Eidottergelb“ wird panisch gesucht und umkreist,
hinter der Schale müsste sie zu finden sein, wir wissen es, und
trotzdem nützt dieses Wissen angesichts der realen Verborgenheit überhaupt nichts.
Was immer wir auch suchen wir werden auf unsere Phantasie zurückgeworfen,
die sinnliche Versagung nagelt uns fest und entblößt umso mehr unsere infantilen Visionen einer „neuen Natürlichkeit“.
Kein modischer Kitsch über Fruchtbarkeit und Mütterlichkeit auf der Leinwand, gottseidank, keine Illusion über das
Geborgensein = Versorgtsein, keine hausgebackene Naturromantik,
sondern ein genau kalkuliertes Spiel mit unseren Anfälligkeiten für
Heim, Herd und liebe Natur.
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